Um 8.15 verließen wir Agra mit dem 12002 Zug nach Orccha (=Orscha). Unser
Guide mahnte uns, dass wir nach 4 Stationen aussteigen müßten, Jhansi. Die Fahrt
verlief wie die erste. Wir bekamen ein „Frühstück“ auf einem Plastiktablett aus
zwei Scheiben lapprigen Toastes, 2 Vatnas (Fettgebäck) auf einer Art Gries, einer
Tüte synthetisches Zuckerlösung alias Milch und zwei Aluschalen mit einer süßen
Kokssuppe und einer scharfen Chililösung. Später kam noch ein espressogroßer
Pappbecher mit heißem Wasser für den Tee. Immerhin war alles gut abgepackt,
keimfrei sozusagen.
Die Landschaft veränderte sich kaum. Offenes Land, landwirtschaftlich genutzt
mit Weizen und Senf, der gerade ähnlich wie unsere Rapsfelder gelg blühte. Lediglich
die Häuser wiesen geringe Unterschiede auf. Einige hatten eine gestampfte
„Terrasse“ aus braunem Lehm, die mit weißer Farbe eingefaßt wurde. Der Boden
muss sehr tonhaltig sein, denn einige Ziegelbrennereien fielen mir auf.
Wir erreichten Jhansi gut 2 ½ Stunden später. Der Dreck hatte uns wieder!
Wir verließen Jhangsi jedoch und fuhren 18 km weiter nach Orchha.
Dieser kleine Ort mit nur 9000 Einwohnern bietet mehrere Hindu Tempel und 2
alte Paläste aus der Mogulzeit von 1600. Der Ort war früher Hauptstadt des
Fürstenstaates der Region Bundelkhand von Britisch-Indien. Der Sage nach entstand er um
1250. Der erste bedeutende Raja war Rudra Pratap Singh (1501–1531), der die
Festung Orchha baute. Orchha wurde zwar weder von Großmoguln oder den Marathen
unterworfen, aber Raja Udwat Singh (1689–1735) musste die Marathen gegen den
Großmogul um Hilfe bitten und ihnen 1732 einen großen Teil seines Landes mit Jhansi abtreten, angesichts des Drecks sicherlich kein Verlust. Raja Vikramajit
(1776–1817) verlegte die Hauptstadt dann auch noch nach Tehri (Tikamgarh),
wodurch Ochhra weiter an Bedeutung verlor. Von 1812 bis 1947 war Orchha
britisches Protektorat.
Erst am 1. Januar 1950 schloss sich dieses Fürtentum Indien an. Am 1.
November 1956 wurden alle Fürstenstaaten aufgelöst und Vindhya Pradesh dem
Bundesstaat Madhya Pradesh einverleibt.
Was nach dieser wechselvollen Geschichte blieb, sind die beiden Paläste und
die Hindutempel, von denen einer, der gelbe Ramatempel in der Orstmitte noch
von überregionaler Bedeutung ist.
Mir schien es, als wäre hier die Zeit
stehengeblieben. Wenn jemand eine Vorstellung aus 1001er Nacht hat, dann sieht
er sie hier erfüllt. Die Frauen tragen alle traditionell bunte Saris, Die
bunten Stoffe glühen in dem Sonnenlicht, Goldschmuck funkelt als Rosette an dem
Nasenflügel oder als Goldkettchen am Fußgelenk. Die Unterarme zieren unzählige
Reifen aus Glas, Kupfer oder Messing. Die Gesichter sind tief in das Gesicht
gezogen, um neugierigen Blicken zu entgehen. Bei den Männern fällt mir dagegen
nur vereinzelt auf, dass sie diese typischen zu knielangen geknoteten Gehröcke
tragen, dazu ein langes wollenes Oberteil und einen weißen Turban. Es sind
vielmehr die Älteren.
Das Leben spielt sich auf dem Platz des Ramatempels ab, von dem man durch
einen gelben und mächtigen Torbogen in eine Gasse mit Shops und Garbuden
gelangt. Milchgebäck ist typisch. Es sieht aus wie eine Marzipanmasse, in die
u.a. Pistazien und Trockenobst eingeschlossen sind. Die 2-Eurosückgroßen Teile
werden fein aufgereiht oder in pyramidenforn gestapelt auf Silbertabletts in
oder auf Glasvitrinen angeboten. Sie sehen verlockend aus, doch der Blick auf
eine solche Kochstelle hält mich vom Probieren ab.
Zwischendurch hat ein fliegender Händler auf einer Plane Armreifen im
Angebot. Es scharen sich die bunten Saris darum, um ganz entzückt zu schauen
und zu probieren. Ich frage mich, worin sich das Angebot von dem Laden daneben
unterscheidet…
Vor all dem Umhersehen, vergesse ich den Blick auf den Boden und lande
unweigerlich in frischen Rinderfladen. Angesichts des sehr landwirtschaftlichen
Charakters des Ortes und des Umlandes ist die Dichte der Rindviehcher, die hier
durch die Gassen laufen, besonders hoch. Niemand scheint es zu stören. Sie
stecken ihren Kopf in die Müllkippe oder fressen den Rest der zu Haufen
zusammengefegten Müllreste.
Folgt man der Gasse weiter, gelangt man über eine rote Sandsteinbrücke zum
Palast. Besonders schön ist seine verschwenderische Bauweise mit unzähligen
Zinnen und Türmchen. Er ist um einen Innenhof mit einer zentralen Zisterne
errichtet. Durch schmale Türöffnungen kann man in mehreren Ebenen in schattig
kühlen Gängen oder auf einer Balustrade umherlaufen und die schönen Aussichten
auf den Ort mit seinen Tempeln im Hintergrund
oder das grüne Umland genießen.
Auf unserem Rückweg hören wir den plärrenden Mix aus Orgel, Blechmusik und
Trommeln. Es klingt wie eine Schlangenbeschwörung, gehört jedoch zu einer
religiösen Zeremonie. Musiker in weißer Uniform und orangefarbenen Epauletten,
Gamaschen und Turban folgen einem Wagen mit übergroßen Lautsprechern, der wiederum
hinter einer Rikscha mit einem laufenden Kompressor fährt, der den Strom für
die Orgel und Verstärker erzeugt. Sie haben die eigentliche Feiergemeinschaft
im Schlepp. Eine kleine Schar an Männern schart sich um einen, der auf dem
Turban eine Art goldbesticktes rotes Kissen balanciert. Dahinter folgen die
Frauen in besagten bunten Saris. Alles liegt unter einem Teppich
ohrenbetäubender Klänge. Es gesellen sich noch zwei Männer mit je einem
geschmückten Schimmel dazu - verzierte Satteldecke, bunt durchwirkte Reusen mit
Messingglöckchen. Ihre Halter hielten sie an der kurzen Leine. Zwischendurch
gaben sie Kommandos, woraufhin die Pferde zu tanzen begannen.
Wir folgten dem Treiben eine Weile, bis uns der Lärm genug betäubt hatte.
Neben dem Ramatempel fiel mir ein imposanter Hindutempel auf. Die Stufen hinauf
ist mit Bettlern und Kindern besetzt, die uns orangefarbene Blütenbouquets aus
Targetes als Opfergabe entgegenhalten. „100 Pupis“ verfolgt es uns bis zum
Eingang. Das Innere besteht nur aus einem hohen Kreuzgang, an dessen Spitze
sich jeweils eine Nische mit einem kleinen roten Sandsteinbalkon findet. Der
Platz macht einen relativ ungenutzten Eindruck. Bevor sich ein Eindruck bilden
kann, werden wir von dem bauchhohen Schlüsselwächter angesprochen. Hager,
Orangefarbenet Turban, blaue lange Jacke, ehemals weiße Hose um karge Beine
ohne Schuhe an den Füßen. Er deutet nach oben und redet in einer
unverständlichen Sprache auf uns ein. Aber ich verstehe „view“ und „photo“.
Schnell ein Plan. Wir teilen uns auf. Ich folge, S bleibt unten und sichert
den Rückzug. Die Tür springt auf und öffnet sich in Dunkelheit. Der Wächter
leuchtet mit einer Taschenlampe auf steile Stufen in einem schulterbreiten Gang.
Die Absätze sind kniehoch, 2 Meter Gefälle auf 50 cm. Etwas beschwerlich
versuche ich Schritt zu halten und muss aufpassen, dass ich dem Vordermann
nicht in die Füße Beiße. Wir gehen drei Ebenen bis zum Dach empor. Oben bietet
sich eine grandiose Aussicht auf das Örtchen, dem Rama Tempel und dem Palast.
Von hier oben wirkt das wahrlich bunte Treiben sehr beschaulich.
Mit einer Geste von Zeige- und Mittelfinger fragt der Wächter: „Smoke?“ No
dope – no worries? Wir machen uns auf den Weg zurück. Dass mich der Wächter
nicht aus Gefälligkeit heraufgeführt hat, war mir im Voraus bewusst. Unten
angekommen, wurden die Vorstellungen konkreter. Er hielt die Hand auf, ich gab
ihm 50 Rupies. Er öffnete die andere Hand und zeigte mir einen Geldschein. „100
Rupies“, unterstrich er seine Geste. Ich hatte nicht mehr in der Hosentasche,
bedauerte und holte mir eine bedauernde Kopfbewegung ab.
Langsam dämmerte es. Wir machten uns auf den Weg zurück, denn Straßenlampen
hatten wir keine gesehen.
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