Morgens standen wir um 4.00 Uhr, um den Sonnenaufgang auf dem Tiger Hill zu
erleben. Wo ursprünglich die Briten noch den Tiger brüllen hörten, machen sich
heute Touris auf die Pirsch, um auf der einen Seite den Sonnenaufgang zu sehen
und auf der anderen das Alpenglühen des Mount Everest mit dem Kangchendzönga
Massiv.
Auf indisch geht das so: Das Rennen um die besten Plätze ist bereits ab
4.00 Uhr morgens eröffnet. Über eine schmale Sand- und Schlaglochpiste rumpeln
Kolonnen von übervoll besetzten Fahrzeugen den Berg empor auf 2500 Höhenmeter.
War es in Darjeeling morgens noch kalt mit gefrorenen Scheiben und bereiften
Pflanzen, ist es oben bitter kalt. Am Tor zu diesem Abschnitt lösen wir ein
Ticket für die „Deluxe Lounge“ (40 Rupies pp). Meine Verwunderung wird rasch
beantwortet. Nur wenige Fahrminuten und Serpentinen später stauen sich bereits
Fahrzeuge am Wegesrand bis zu einem Parkplatz, hinter dem sich ein
zweistöckiger Gebäudekomplex erhebt. Wir stolpern die enge Treppe empor und
finden uns in einem um fast 360° verglasten Saal wieder, in dem in drei Reihen
ausladende Polstersessel nach Osten ausgerichtet sind. Der Raum ist bereits
voll. Es finden sich außer uns nur noch drei weitere westliche Touris.
Unterhalb auf der Veranda drängen sich bereits unzählige Schaulustige, dicht
vermummt in Decken und bis zur Scheitelspitze eingepackt in Schals und Capes.
Wir müssen noch eine Stunde warten. Es wird ab 5.30 allmählich heller.
Leider ist es diesig. Dichte Wolken versperren die Sicht. Plötzlich belebt sich
die Szene. Wir hören Trillergepfeife. Jetzt, ja, für einen kurzen Moment können
wir eine blass rote Sonnensichel sehen, die bereits über den Bergkämmen steht.
Und ebenso für einen kurzen Augenblick sehen wir Berge, aber nicht den Everest.
Es herrscht dichtes Gedränge an den Fenstern. Das ist der Moment, wenn das
Schiff Schlagseite bekäme.
Mühsam und mit viel Kraftanstrengung kann ich mir nur einen Weg bahnen. Meine
Zehen werden langsam taub. Trotz der vielen Schichten setzt das Kältezittern
ein. Ich staune über die barfüßigen Frauen in Zehensandalen. Ihr Gang ist
schwer, vermutlich spüren die gar nichts mehr. Ich schlage die Autotür zu,
lasse die Bilder an mir vorüberziehen und bin froh, wieder im Warmen zu sitzen.
Ghoom Kloster
Apotheke mit britischen Elementen
"Mall"
Fassade in der Mall
Somosa in Handarbeit
Tea time
Auch tagsüber merken wir die Höhe. Darjeeling liegt 2185 m hoch. Während
der britischen Kolonialherrschaft diente Darjeeling wegen seines milden Klimas
als „Hill Station“ (Erholungsort) für britische Kolonialbeamte und Offiziere
aus dem fernen Kalkutta. Im DAS Fotostudio inmitten der Einkaufsstraße, die die
Briten als „Mall“ angelegt hatten, zeigen alte Luftaufnahmen von 1933
eindrücklich die großzügige Anlage dieses Ortes. Heute sind die Lücken mit eng
bebauten Häusern und Häuschen geschlossen, die die alten britischen Gebäude
überragen und verschwinden lassen. Die alten Holzgebäude sind in einem
bedauerlichen Zustand. Die Farbe platzt ab, das Holz verwittert. Gehalten hat
sich die anglikanische Kirche am Ortsausgang, eine Schule und das
Verwaltungsgebäude mit dem obilgaten Glockenturm.
Es herrscht ein dichtes Verkehrsaufkommen. Wir sind nicht ganz sicher, ob
der anhaltende Dunst nur Dunst oder Smog ist. Der beißende Geruch würde für
Smog sprechen.
Seit Jahrhunderten lebte Darjeeling vom Karawanenhandel zwischen Tibet und
Indien. Im 19. Jahrhundert wurde die Region von Darjeeling von der
Kolonialmacht England zu einem Zentrum des bengalischen Teeanbaus entwickelt. Doch
erst deutsche Unternehmen sorgten für eine Verbesserung der Qualität. Heute
genießt Darjeeling für seinen hochwertigen Darjeeling-Tee weltweit einen
herausragenden Ruf. Angesichts der hohen Luftverschmutzung, durch die wir seit
3 Tagen fahren, tragen bestimmt auch Rußpartikel zu dem einzigartigen Geschmack
bei.
Wir laufen durch die kurze Mall und erreichen einen offenen Platz. Hier
treffen sich die Menschen zu einem Plausch auf den umherstehenden Bänken. Ich
sehe überwiegend nepalesische Gesichtszüge. Die Älteren strahlen eine
ungewöhnliche Ruhe und Würde aus. Die Jungen sind wie bei uns, „westlich“
gekleidet in Jeans und kurzer Jacke, die schwrzen Haare wie James Dean
zurückgekämmt und das Handy in der Hand. Die Mädels dagegen laufen in kleinen
Grüppchen, giggeln und schauen nach den Jungs. Hier werden keine Ehen mehr
arrangiert, betont unser Guide. Es sind vielmehr Liebeshochzeiten, die
Scheidungsrate liegt unter 1%.
Wir entscheiden uns für eine Teeprobe bei „Golden leaf“, einem Teeladen an
dem Platz. Wir legen die Tees für das Verkosten fest: einen „White Darjeeling“,
einen „first flush“, einen „Green Queen“ und einen „Green tea orange“. Mir
erscheinen die Tees im Geschmack jedoch zu strohig, kein Argument für einen
Wechsel vom Kaffee.
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